Im Interview: Fotokünstlerin Jamari Lior

Von Fabian Peters - Do, 21.01.2016 - 14:55

Jamari Lior ist eine außergewöhnliche Fotokünstlerin der besonderen Art: Mit ihren extravaganten und stilvollen Porträtaufnahmen zieht sie immer mehr Menschen in ihren Bann. Im Interview spricht die freiberufliche Fotokünstlerin und Fotografin über ihren Weg zur Fotografie,  ihre enge Verbindung zur indischen Kultur und verrät, was sie bei ihrer Arbeit inspiriert.

© Jamari Lior

Hallo Jamari, erzähl uns ein bisschen etwas über dich. Wie bist du zur Fotografie gekommen und was begeistert dich am meisten daran?   Zur Fotografie kam ich geplant – mit dem Studium der Medienwissenschaft und der Promotion in visueller Anthropologie. Zum Fotografieren kam ich hingegen per Zufall beziehungsweise über einen weiten Weg: Ich habe eine Weile in Indien studiert. Dort wurde ich gefragt, ob ich in einem Film eine dritte Hauptrolle spielen möchte. Zwar hatte ich zuvor eher Interesse am Tanz als am Schauspiel, doch bei indischen Filmen geht beides oft Hand in Hand und ich sagte zu. Von dort gelangte ich dann in eine Modelagentur, wo ich die Glamour-Seite Südindiens kennenlernte. Ein krasser Gegensatz zu den Kinderheimen und Slums, die ich bei vorherigen Aufenthalten in Südindien erlebt habe. Das Modeln sah ich bis dahin allerdings eher als Mittel zum Zweck, ein möglichst emisches und umfassendes Bild Südindiens zu erlangen; die Jobs, meist Fashionpräsentationen und -fotos, waren für mich noch zweitrangig. In Deutschland ging es dann ebenso zufällig weiter. Bei einem Musikfestival wurde ich gefragt, ob ich mich für eine Publikation fotografieren lassen möchte. Damit war zum zweiten Mal der Schritt vor die Kamera getan. Um mehr gestalterischen Einfluss auf das Bildergebnis nehmen zu können wechselte ich schon bald die Seite und befinde mich seither meist hinter der Kamera.

© Jamari Lior

„Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ ist zwar ein grober Allgemeinsatz, aber daraus resultiert die für mich größte Faszination an der Fotografie. Hinter der Kamera wähle ich zwar nicht konkrete Worte, die ein Foto ausdrückt, aber ich kann tausende nahelegen. Daraus resultiert auch meine Freude am Inszenieren. Andererseits bin ich neuen Interpretationen meiner Bilder gegenüber auch sehr offen. Übrigens kann beziehungsweise muss man meiner Meinung nach auch beim dokumentarischen Fotografieren gestalten – Zeitpunkt, Belichtungszeit, Blende, Bildausschnitt und Farbgebung sind nur einige Aspekte.

Auf deiner Webseite bezeichnest du dich selber scherzhaft als „stillos“, da du keinem bestimmten Stil folgen möchtest. Dennoch: Wie würdest du deine Darstellungsweise beschreiben?   Mir ist die Gestaltung wichtig. Das heißt, ein Bild, das einfach nur ein schönes und gut geschminktes Gesicht zeigt – enger Ausschnitt, verschwommener Hintergrund – kann ich zwar für die Schönheit würdigen, finde es aus fotografischer Sicht aber eher uninteressant. Da hat der Fotograf für mein Empfinden zu wenig beigetragen. Aus diesen Gedanken resultiert meine Tendenz zu größeren Bildausschnitten. Ich mag Farben, da sie eine weitere Ebene einbringen neben der von Form und Linienführung, was nicht bedeutet, dass ich mich nicht auch ab und zu für die bewusste Reduktion in Schwarz-Weiß entscheide.

© Jamari Lior

Wer oder was inspiriert dich bei der Arbeit, beziehungsweise woher kommen die Ideen für deine Motive?   Andere Künste finde ich sehr inspirierend. Vor allem die Malerei und Grafik von barocker Zeit bis zum Jugendstil. Damit oft einhergehend fasziniert mich die Mythologie, das kollektive Gedächtnis. Hier kommt wohl die Anthropologin in mir raus.

Du hast unter anderem in Indien gelebt und als Fotomodell gearbeitet. Inwieweit beeinflussen diese Erfahrungen deine Fotografien?   Die indische Ästhetik hat mich beeinflusst in ihrer Symbolträchtigkeit und ihrem Fokus auf Emotionen. Bei der Darstellung von Göttern zum Beispiel hat jedes Element seine Bedeutung. Lakshmi, die Göttin von Glück und Geld, lässt es als Gajalakshmi aus einer Hand Gold regnen, zwei weitere Hände halten Lotusblumen, die für Vollkommenheit stehen, die vierte Hand zeigt eine trostspendende Geste, flankiert wird sie von Elefanten, die mit erhobenen Rüsseln Wasser aus Kübeln gießen. In anderen Versionen wird sie beispielsweise als ideale Ehe- und Hausfrau präsentiert, wieder in klar definierter Haltung. Neben der Symbolträchtigkeit ist ein weiteres konstituierendes Element indischer Kunst die Vermittlung von Emotionen, den sogenannten Rasas, die der Betrachter bei diffuser Aufmerksamkeit übermittelt bekommt. Raus aus der Theorie ins Straßenbild: Ich liebe die kräftigen Farben und den Detailreichtum, der einem dort ständig begegnet. Der leicht morbide Charme blätternder Wandfarbe, die üppige Handarbeit auf Kleidungsstücken wie Saris und Gagra Cholis, die bunten Glasarmreifen, die sich Frauen in hoher Anzahl über die Arme streifen, Ochsenkarren am Straßenrand, bunt bemalte, ratternde LKWs und Rikschas – all das versetzt mich in eine Zeitreise. Einen Moment später durchquert ein Banker mit Handy am Ohr das Bild, schlängelt sich ein modernes deutsches Auto durch den Verkehr. Es ist ein Neben- und Miteinander verschiedener Zeiten, verschiedener Religionen, verschiedener Kulturen. Sicher auch durch diese Eindrücke beeinflusst spielen in vielen meiner Fotos Klischees, die kleine, oft nicht auf den ersten Blick auffallende Brüche mitbringen, eine Rolle.

© Jamari Lior

Die Frage nach der Zeit als Model muss ich separat beantworten, da ich ja zurück in Deutschland intensiver und speziell für Fotos gemodelt habe. Diese Zeit hat in mir das Interesse am Inszenieren gestärkt. Bei Shootings, die starke Kostümierung beinhalteten, die mich in neue Rollen schlüpfen ließen, war ich stets gerne dabei. Es ging mir auch vor der Kamera nicht darum, mich ganz natürlich zu präsentieren, sondern darum, eine Rolle zu spielen. Wobei ich das Konzept „natürliche Portraits“ sowieso in Frage stelle, da ich (mit Soziologen wie Erving Goffman) davon überzeugt bin, dass wir immer eine Rolle spielen und dass ein Foto – so viele Worte es auch sagen kann – niemals eine Persönlichkeit adäquat darstellen kann, dass dieses Unterfangen generell unmöglich ist. Während der Zeit vor der Kamera habe ich mit sehr vielen Fotografen zusammenarbeiten und sehr viel erleben dürfen. Mir wurden tolle Reisen zum Beispiel nach Kapverden, nach Dubai und Thailand ermöglicht und Aktivitäten wie das Fliegen in Privatjets oder das Motocrossfahren, die für mich sonst nicht so nahe gelegen hätten. Vor allem aber habe ich spannende Persönlichkeiten kennenlernen können. Persönlichkeiten, die ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Fotografie haben: von akribisch bis intuitiv; die ihr Leben ganz unterschiedlich führen und für die die Fotografie sehr verschiedene Aufgaben übernimmt: Mal zum Ausleben bestimmter Charakteraspekte, mal als Sprechrohr für bestimmte Botschaften, als Ausdruck eines bestimmten Lifestyles und als Selbstinszenierung. Nach wie vor kooperiere ich sehr gerne mit anderen Fotografen.

© Jamari Lior

Mit welchem Equipment bist du unterwegs?    Die Nikon D810 leistet mir beste Dienste. Man sagt zwar, dass der Fotograf und nicht die Kamera, die Bilder macht, aber eine gute Kamera eröffnet andere Möglichkeiten. Zum Beispiel erlaubt die Kamera Aufnahmen bei höherem ISO auch später nur Bildausschnitte auszuwählen und erträgt meine Reisen bei Wind und Wetter. Als Blitzequipment nutze ich eine Blitzanlage von Richter, die mich dank leistungsstarkem Akku auch unterwegs begleiten kann. Gerne verwende ich die Blitze auch als Dauerlichter. Bearbeitet wird bisher – noch – zumeist an einem Laptop, was der Tatsache geschuldet ist, dass ich viel und gerne unterwegs bin.

Die digitale Fotografie verleitet meist zur Nachbearbeitung, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, das oftmals beinahe künstlich wirkt. Welchen Stellenwert hat die digitale Nachbearbeitung für dich?   Zwischen 10 Minuten und 10 Stunden verbringe ich pro Bild mit der Nachbearbeitung, die mir hilft, Bildaussagen zu verstärken oder zu erschaffen. Allerdings gehe ich immer noch vom Fotografischen aus, da mich ein gewisser Bezug zur Realität reizt. Nur mit Computergrafik zu arbeiten ist derzeit nicht mein Thema.

© Jamari Lior

Was ist deiner Meinung nach ausschlaggebend, um in der Fotografiebranche erfolgreich zu sein?   Erfolg ist Definitionssache: Sind es finanzkräftige Kunden? Interessante Veröffentlichungen? Viele Ausstellungen, viele von Vogue akzeptierte Bilder oder viele Facebook-Likes? Für mich bedeutet Erfolg, viele Fotografen inspirieren zu können: Durch meine Bilder, Magazinartikel, Bücher, Videos und Workshops. Viele möchten an dieser Stelle wahrscheinlich ein Rezept hören und vermutlich beantworten viele die Frage nach dem Erfolgsrezept mit „Sei Du selbst“. Ich gebe mal eine andere Empfehlung, selbst wenn diese sicher nicht so gut ankommt: Sei auch mal nicht Du selbst. Versuche Dich auch Stilen zu widmen, die Dir nicht unbedingt leicht fallen, die Dir vielleicht zunächst gar nicht so gut gefallen. „Sei Du selbst“ ist Stillstand, mit „Sei auch mal nicht Du selbst“ kannst Du Dich weiterentwickeln, um dann auf neuer Ebene zu Dir zurückzufinden. Ich bin mir zum Beispiel dessen bewusst, was meine Fans am liebsten von mir sehen – und doch strapaziere ich sie auch immer wieder mit ganz anderen Bildern, denn ich liebe die Abwechslung. So kann ich doch mit einem klugen Spruch enden, den ich nicht zurücknehmen werde: „Variatio delectat“ (Abwechslung macht Freude).

© Jamari Lior

Jamari Lior ist freiberufliche Fotokünstlerin und Fotografin. Die promovierte Medienethnologin stand zunächst bei zahlreichen Shootings selbst als Model vor der Kamera und wechselte anschließend die Perspektive. In Kürze erscheint ihr nächstes Buch mit dem Titel "Modelfotografie aus dem Koffer".

Mehr über Jamari Lior erfahrt ihr unter: http://www.jamari-lior.com http://www.colorshooting.de https://www.facebook.com/jamari.lior

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