Zwischen Zerstörung und atemberaubender Schönheit: "Afghanistan" von Steve McCurry

Von Andrea Bruchwitz

© Steve McCurry

In den tiefen Gebirgsfurchen von Afghanistan reihen sich Stammesfehden an politische Konflikte und Kolonialkriege. In seiner jahrtausendealten Geschichte hat das Land nur wenige Atemzüge politischer Einheit erlebt. Inmitten der rivalisierenden Stämme, zwischen Usbeken, Hazara und Tadschiken, hat der renommierte Fotograf Steve McCurry ikonische Fotografien erschaffen. Der Amerikaner reist seit 40 Jahren nach Afghanistan, häufig unter landestypischen Gewändern versteckt, und hält dort berührende Fotografien fest.

© Steve McCurry

Der ergreifende Bildband Afghanistan, der neu im TASCHEN Verlag erschienen ist, hält diese dokumentarische Reise fest. Nicht nur das weltberühmte Afghanische Mädchen aus dem Jahre 1984 blickt den Betrachter mit eindringlichen, eisernen Augen an. Das Werk zeigt Portraits und Landschaften aus vier Dekaden – zwischen Kriegsverwundung und schockierendem Leid sind immer wieder Funken der Hoffnung und Momente von atemberaubender Schönheit zu sehen.  

© Steve McCurry

Der Bildband hat eine fesselnde Dramaturgie: Der Betrachter wird durch Steve McCurrys dokumentarische Schwarzweiß-Fotografien in die Thematik eingeführt. Verstörte Kinder, Stammesgruppen, Erwachsene halten sich an ihren Waffen fest – ein Land im Krieg. Nach diesem visuellen Prolog folgen Landschaftsportraits, die langsam in den gewaltdurchfluteten Alltag führen.

© Steve McCurry

Zwischen den dramatischen Aufnahmen, die zerbombte Gebäude und blutüberströmte Kinder zeigen, finden sich immer wieder kurze Momente des Glücks. Wie eine Woge der Hoffnung fügen sich Fotografien von jonglierenden Mädchen ein. Rosen sprießen aus Geschosshülsen heraus, lachende Kinder spielen in einem alten, verrosteten Chevrolet. McCurry zeigt die uralten afghanischen Traditionen in atmosphärischer Dichte: Kamele grasen in der Nähe eines Nomadenzeltes, der Betrachter wird Zeuge eines Rebhuhnkampfes, Frauen unter azurblauen Burkas lassen ihre herausblitzenden Hände für sich sprechen.

© Steve McCurry

© Steve McCurry

Das TASCHEN Werk bietet ein Panorama des muslimischen Landes, mit seiner landschaftlichen Schönheit und den menschlichen Emotionen, die sich zwischen den verfallenen Ruinen abspielen. Vor allem aber zeigt Afghanistan die tiefe Leidenschaft, mit der Steve McCurry dem Land begegnet: voller Respekt, mit Ehrfurcht und nicht zu stillender Neugierde. Mancher Kritiker möge anmerken, dass im Bildband beschreibende Textelemente fehlen, allerdings können die Werke gerade dadurch ihre kraftvolle Bildsprache entfalten: Sie wirken vollkommen losgelöst von westlichen Projektionen. Jede Fotografie steht für sich alleine – lediglich am Ende des Buches befindet sich ein Glossar mit Datum und Ortsangabe. Das ist mehr als genug, denn McCurrys vielfach prämierte Fotografien zeigen den Alltag des Landes auf ehrliche, manchmal gar erschreckende Art und Weise in malerischer Qualität.

Steve McCurry sagte einst über sein Schaffen: „Ich suche den unbedachten Moment, wenn die Essenz der Seele sichtbar wird und sich im Gesichtsausdruck der Person offenbart.“

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